Von der Linie zum Licht

Von der Linie über die Farbe zum Licht, so lässt sich konstatieren, verläuft der chronologisch-biographische Schaffensweg des Zeichners, Malers und Installationskünstlers Sreeraj Gopinathan. Und dieser Weg ist ebenso Programm und Inhalt seiner Kunst wie Spiegelung seiner persönlichen Suche nach Leben, Welt und Sinn.

Die frühesten Arbeiten von Sreeraj Gopinathan sind weiss-schwarze, lineare Tuschegespinste auf Papier. Ausgehend von Betrachtungen der Natur, der Landschaft, von Bäumen, Hütten und anderen Szenerien seiner südindischen Heimat, wendet sich der Zeichner bald dem Antlitz des Menschen zu. Es sind die zerfurchten, vom Leben gezeichneten Gesichter alter Menschen, die Sreeraj Gopinathan als zeichnerische Gegenüber faszinieren und deren Ausdruck er mittels einer Art automatischer Schreibweise graphisch nachspürt. Die Blätter zeigen Portraitlandschaften, die an die Strukturen rauer Baumrinden oder an schroffe Felsformationen denken lassen. Diese Zeichnungen sind Ergebnisse der Suche und Untersuchung der Wahrhaftigkeiten menschlicher Existenz, die Sreeraj Gopinathan seit Beginn seiner künstlerischen Arbeit beschäftigen.

In Folge entstehen Ganzfiguren-Darstellungen, die uns die Menschen-Wesen in einer Art "auratischer Zerlösung" vorführen: teilweise diaphan wirkend, offenbaren sie scheinbar das Architektonische ihrer Skelette und die Lage ihrer inneren Organe. Die Leiber sind eingesponnen in Liniengeflechte und leuchtend wirkende Schraffuren. Den Personen fehlt die sie ins Individuelle festzurrende Kontur, statt dessen gibt uns die zeichnerische Verschränkung der Figuren mit ihrer Umgebung den Eindruck, ihre Aura erschauen zu können. Sreeraj Gopinathan entdeckt in seinen Modellen eine tiefinnerliche, geistige Realität und billigt ihnen diese zu: folgerichtig wird das "Leuchten" der Wesen und Dinge zum eigentlichen Gegenstand seiner bildnerischen Unternehmungen.

Besondere Deutlichkeit erfährt dieses Anliegen des Künstlers in seinen jüngeren Malereien. Auf wolkig blau-dunklen Pigmentflächen legt er Blattgoldformen auf, die einfach und erhaben vor einem geheimnisvollen, tiefen Raum zu schweben scheinen. Als geborstene Gefäßformen, als von dunklem Licht zerspaltene Vasen könnten die goldenen Formen gelesen werden, aber jede verdinglichende Benennung dieser Zeichen führt uns in eine Enge, die uns das Eigentliche der Arbeiten Sreeraj Gopinathans verfehlen lässt.

Dieses Eigentliche aber ist ein Unsagbares, ist ein Nur-Ahnbares oder Nur-Vermutetes: ein "Etwas" in uns oder im Kosmos, das uns in Momenten religiöser Angerührtheit am Vertrautesten war und das uns immer dann entrückt wurde, so haben wir es oft und oft erfahren, wenn wir versuchten, es jemand anderem sprachlich zu benennen.

In den letzten Jahren setzt Sreeraj Gopinathan zielstrebig seine Arbeit auf der Suche nach Ausdrucksformen für seine von Spiritualität durchdrungene Sicht der Welt fort. In der Realisierung von Lichtobjekten in Rauminstallationen findet er eine seinen tiefen Anliegen adäquate Gestalt. Es entstehen dunkle Andachtsräume, die wir als Einzelne betreten und die erst nachdem sich unser Auge an die Schwärze in ihnen gewöhnt hat, eine geheimnisvolle Lichtquelle wahrnehmen lässt. Golden warme, konzentrische Kreise oder ein bläulich-violetter Kegel, in dem eine wattige rote Sonne leuchtet, scheinen an Intensität zuzunehmen und beschäftigen unsere Wahrnehmung, je länger wir uns in dem dunklen Raum aufhalten. Zauber! Oben und Unten verschwinden. Nah und Fern lösen sich auf. Und das sprachliche Benennen aller Teile versagt, mit dem wir uns sonst so notdürftig in unserer Alltagswelt beheimaten.

Wenn es gelingt, uns von den Tagesresten des Vorhers und Draußens nicht zu sehr stören zu lassen, stellen sich intensivste Empfindungen ein. Möglicherweise werden wir versuchen, diese später als "ozeanisches Gefühl", als vorgeburtliche Geborgenheit oder als eine Vorahnung der Todeserfahrung zu vermitteln. Oder als mystisch-religiöse Harmonie und meditative Ruhe. Aber je mehr unser esoterisch-spiritueller Wortschatz versagt und je mehr wir nach Verlassen eines Schwarzraumes von Sreeraj Gopinathan schweigen und stammeln, desto näher sind wir an seine Kunst und an seine Sicht des Lebens in dieser Welt herangelangt: Klares lässt sich nicht sagen.

Und worüber sich nichts Klares sagen lässt, darüber sollten wir schweigen.


Verfasst von Gregor Bendel

Zwischen Fülle und Leere


Was wäre, wenn Rembrandt anstatt Farben elektrisches Licht benutzt hätte? Was wäre geschehen, wenn Monet als Pinsel einen biegsamen Lichtstrahl und einen schwarzen Raum als Malgrund verwendet hätte? Was hätte uns Schopenhauer hinterlassen, wenn er von einem Ort, den nie ein Lichtstrahl durchdrungen hat, direkt in die Unendlichkeit hätte blicken können?


Es ist eine überraschende Begegnung mit einer Kunst, die eine Brücke zwischen fern voneinander liegenden Ebenen schlägt; von einer technologisierten Welt zum Herzen der Erde. Eine Verbindung, die dort nicht endet, sondern sich von den Bindungen der Endlichkeit löst und mit dem kosmischen Sein vereint. Diese ungewöhnliche Fusion eines Raum-Zeit-Happenings erzeugt ein Kraftfeld zwischen Fülle und Leere, dem man sich schwerlich entziehen kann. Entzieht sich aber gleichzeitig dem umherirrenden Geist auf der Suche nach Erklärbarem, weil die sich aus dem Dunkel herauskristallisierenden Formen nur noch Erinnerungen wachrufen, die im Urgrund des Bewusstseins vergraben lagen. Sehnen sich nach der vertrauten Dimensionalität.


Unaussprechliches trotzt beharrlich allen Versuchen des Einordnens. Unerreichbar, unantastbar ziehen die aus dem endlosen Schwarz empor quellenden Erscheinungen aus schimmerndem Licht die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich. Deutlich spürbar steigert jeder neue Atemzug des Gegenüberstehens das Staunen. Dem Auge wird der entstehende Eindruck, im Endlosen zu versinken, zum realen Erscheinungsbild. Jedoch entbehrt der drängende Wunsch nach einer Sinnsuche fortwährend seiner Erfüllung. Stattdessen wird nach und nach sein Nichterreichen selbst zum Sinn. Strahlt Verlockung aus, die aber jede Befriedigung verwirft. Erhebt sich wie eine Fata Morgana vor dem Verstand, gewebt aus flirrendem Staub; unfassbar vor einem schwebend.


Die einmal monumental, ein anders Mal fragil wirkenden Strukturen, obwohl verschiedenartig in Konsistenz, Couleur und vermeintlich genutzten Materialien, führen gleichsam in eine Art wohltuende Selbstversunkenheit. Die zunehmende Präsenz der sich aus Zwielicht zu formen scheinenden Gebilde schärft die Sinne und intensiviert die Konzentration bis zu einem Punkt, an dem plötzlich alle Spannung aufgibt und das Gefühl des Eintauchens in einen grenzenlosen, friedvollen Ozean zum erlösenden Höhepunkt der Reise in die Tiefe wird. Eine verzaubernde, traumhafte Illusion verwandelt alle Erinnerungen an Zeit in eine übervolle Leere. Dort zählt nur noch das Hier und Jetzt; einzig der Moment des Erlebens ist noch von Bedeutung.


Die von Sreeraj Gopinathan erschaffenen Räume befinden sich weder in der mit Materie gefüllten Welt, noch in einer Jenseitigen. Er macht das zwischen den Polen liegende Ereignis für jeden, der bereit für dieses Erlebnis ist, erfahrbar. Er öffnet ein nicht benennbares Universum, das uns einerseits fremdartig erscheint, andererseits eine Urvertrautheit ausstrahlt, nach der unser Sein schon seit jeher strebt. Vergleichbar mit einem Kaleidoskop, ausgerichtet auf den zur Ewigkeit werdenden Augenblick, das nie Endende in endlose Bilder gebannt, wie ein Traum in einem Traum.


Das ästhetische Gesicht des technischen Fortschritts


Das beständige Aufstreben des technischen Fortschritts sieht Sreeraj Gopinathan als Resultat der nicht enden wollenden Jagd des Menschen nach dem Unerreichbaren. Die Kunst als Ausdruck dessen begleitet ihren Weg und erleuchtet ihn. Technik und Kunst - beide vermitteln das Gefühl, in Bewegung zu sein. Einem angeborenen Entdeckungstrieb gleich, über den er keine Macht besitzt, als wäre er seit jeher mit diesem Grundbedürfnis programmiert. Kleidet sein unstillbares Verlangen nach Befreiung von der ihn stets begleitenden Bewunderung für die schöpferische Vollkommenheit vielleicht nur in eine befriedigende Form. Obwohl sein Inneres weiß, dass es ihm niemals gelingen wird, sie zu übertreffen. Die Herausforderung, die das Streben danach in sich trägt, jedoch bleibt. Avanciert zu einer Faszination, der er an keinem Tag widerstehen kann.


Licht - Anfang und Ende


Trotz der Faszination für dieses einzigartige Medium setzt Sreeraj Gopinathan ohne Einschränkung andere Materialien ein und erschafft ästhetische, in Dunkel gehüllte Lichtkompositionen, die dem Gegenübertretenden die Antworten auf seine Fragen schuldig bleiben. Zum Ergründen des Zeitlosen, um dem Geheimnis näher zu kommen, welches sich hinter der wahrnehmbaren Welt verbirgt, geht er einen Pakt mit dem Zeitgeist ein.


Der erste Eindruck einer optischen Täuschung, der beim Eintreten ins Dunkel beim Betrachter tief gehende Spuren hinterlässt, zieht unweigerlich in einen raumlosen Raum hinein, in dem Vertrautes eine neue Gestalt annimmt. Das ICH, das sich bisher als agierendes Zentrum sah, verharrt plötzlich in Stille, um sich im selben Moment in eine konturlose Unermesslichkeit zu erstrecken. Öffnet sich und tritt in eine kontemplative Sphäre ein.


Gebilde, zerbrechlich, wie gemeißelt aus Licht, frei schwebend zwischen Greifbarem und Ungreifbarem. Scheinen beim zweiten Blick eben dem Reich der Finsternis zu entsteigen. Wie nebulöse Trugbilder verlocken sie zum Berühren dessen, was unberührbar bleibt, halten die sich regende Neugier gefangen. Die unsichtbaren Grenzen, die das Selbst von den anderen Existenzen zu trennen scheint, verschwimmen und geben einen altbekannten Weg frei.


Der Künstler empfindet sich selbst als Person während des Schaffensakts zurückgetreten, nur noch als Teil eines Flusses und hineingezogen in unbeschränktere Kreise des Geschehens, die seinem widerhallenden Ruf nach dem Woher und Wohin zahllose Antworten entgegenwehen. Fragen nach dem Wie und Was - nach Methode und Material, sind bis zur Vollendung der einzelnen Installation selbst für den Künstler nicht vorhersagbar; ergeben sich im Erschaffungsprozess von Augenblick zu Augenblick. Bleiben für den Betrachtenden buchstäblich im Dunklen. Deutlich wahrnehmbar ist nur eine sich ausbreitende Gespanntheit zwischen dem Sichtbaren und der latenten, den Raum füllenden Ausdehnung.


Zum Teil aus dem Nichts herausbrechend, zum Teil darin verschwindend - wie das Dasein selbst - mit der Aura des Rätselhaften umgibt Sreeraj Gopinathan seine Lichtgestalten, im wahrsten wie im übertragenen Sinne. Dies spiegelt das Bild der Welt, das er wahrnimmt, unaufhörlich zu verstehen und Ausdruck zu verleihen versucht. Einen Bruchteil dieses unergründlichen, alles durchdringenden Mysteriums auf eine künstlerische Bühne zu bannen. Wie ein Zauberer das Publikum mit undurchschaubaren Illusionen erstaunt, jedoch anstatt Neugierde zu stillen, in immer unbekanntere Welten lockt und fortwährend an sich fesselt. Eine Gestimmtheit, in der man sich der Unvorstellbarkeit dennoch einen Schritt näher gekommen scheint und mit dem eigenen kosmischen Gegenpol wieder verbunden fühlt.


Verfasst von James Sebastian

Copyright © Sreeraj Gopinathan

Das Ungreifbare im Zwielicht


Sreeraj Gopinathans „Ewige Reise“


Die Magie der Tiefe


Künstlerische Reise ins Licht


23. Ann. State Exhibition 1993 Kerala Lalitha Kala Akademi



Über dem Horizont


Magische Reise ins Licht


Kunst auf Schloss Bedheim


Junge Kunst vor alten Maschinen präsentiert


Die Mombachstraße in Styropor